Wasserkraft ist neben der Solarenergie derzeit die bedeutendste erneuerbare Energiequelle in Baden-Württemberg. Die Wasserkraft ist eine wesentliche Säule der Energiewende, da die Stromerzeugung aus Wasserkraftwerken durch ihre Kontinuität und Regelbarkeit die Wind- und Solarstromerzeugung ergänzt.
Wasserkraftanlagen und Potenziale
Bestand Wasserbauwerke
Allgemeine Informationen
Wie hoch ist der Anteil am Energiemix?
Die Wasserkraft gehört mit einem Anteil von 7,6 % an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2022 zusammen mit der Windenergie und der Photovoltaik zu den bedeutendsten erneuerbaren Energiequellen in Baden-Württemberg. Ihr Vorteil gegenüber anderen erneuerbaren Energiequelle ist die Gewährleistung einer relativ konstanten Stromerzeugung.
Bei einem Speicherkraftwerk wird Wasser in einem Behältnis gespeichert. Das Potenzialgefälle zwischen Speicher und Turbine wird zur Stromproduktion genutzt. Ein typisches Beispiel hierfür sind Talsperren. Dies ermöglicht die Regulierung der Stromproduktion, sodass die im Wasser gespeicherte Energie in Zeiten mit erhöhtem Strombedarf in Strom umgewandelt werden kann. Zum anderen dient sie der Bereitstellung der Regelleistung im Stromnetz. Auch Pumpspeicherkraftwerke werden zu den Speicherkraftwerken gezählt. Pumpspeicherkraftwerke bieten darüber hinaus den Vorteil, Produktionsüberschüsse aus der volatilen Stromerzeugung (z.B. Wind und Sonne) zu speichern, indem mit überschüssigem Strom Wasser in den oberhalb der Turbine befindlichen Speicher gepumpt wird.
In Laufwasserkraftwerken wird das Flusswasser direkt durch eine oder mehrere Turbinen geleitet und mittels eines Generators Strom erzeugt. In der Regel besitzen Laufwasserkraftanlagen keine Wasserspeichermöglichkeit. Da es jedoch auch Laufwasserkraftwerke mit Schwellbetrieb gibt, die bis zu einem gewissen Grad gleichermaßen regulierende Wirkung besitzen, lassen sich die Kraftwerkstypen nicht immer eindeutig voneinander abgrenzen.
Als Flusskraftwerk sind Laufwasserkraftanlagen definiert, bei denen der zur Energiegewinnung genutzte Abfluss unmittelbar unterhalb des Querbauwerks wieder in das Gewässerbett zurückgeführt wird und bei denen keine fischökologische relevante Gewässerstrecke mit verringerter Mindestwasserführung entsteht. Allerdings sind hier wirksame Fischauf- und -abstiegshilfen vorzusehen.
Ausleitungskraftwerke sind Laufwasserkraftanlagen, an denen oberhalb des Bauwerks Wasser aus dem Fließgewässer abgeleitet und unterhalb in einem Mindestabstand zum Bauwerk wieder zugeführt wird. Da dabei im eigentlichen Flussbett eine fischökologisch relevante Gewässerstrecke mit verringerter Restwasserführung entsteht, ist das Flusskraftwerk hinsichtlich der Ökologie vorzuziehen.
Bei der Wasserkraft wird zwischen kleiner Wasserkraft (Anlagen bis 1 MW Leistung) und großer Wasserkraft (Wasserkraftwerke größer 1 MW Leistung) unterschieden. Die installierte Leistung eines Kraftwerks wird vor allem durch die Fallhöhe des Wassers bestimmt.
Bei Wasserkraftanlagen mit einer Leistung über 1 MW unterscheidet man zusätzlich schwellfähige und nicht schwellfähige Wasserkraftanlagen. Schwellfähige Wasserkraftanlagen besitzen einen gesonderten Wasserstauraum und sind mit zusätzlichen Turbinen ausgestattet. Auf diese Weise kann die Stromerzeugung reguliert werden, um Strom vorrangig dann zu erzeugen, wenn dieser benötigt wird. Zudem kann in Kraftwerken mit Schwellbetrieb der Wirkungsgrad einer Turbine optimal genutzt sowie die Fallhöhe für Turbinen erhöht werden. Durch die zeitweise Anstauung des Wassers kann der Abfluss unterhalb des Kraftwerks phasenweise jedoch stark sinken. Infolgedessen kann die Gewässerökologie beeinträchtigt werden. Zur Vorbeugung ist unterhalb eines Kraftwerks mit Schwellbetrieb ein Ausgleichsbecken anzulegen.
Zur Potenzialabschätzung wird bei bestehenden Querbauwerken ohne Wasserkraftnutzung davon ausgegangen, dass ein Neubau als Flusskraftwerk ausgeführt wird. Die Herangehensweise stützt die ökologische Sichtweise.
Wie groß ist der Bestand der Wasserkraft?
Die große Wasserkraft weist eine installierte Leistung von 651 Megawatt (MW) bei 67 Anlagen (Stand 2011) auf. Damit verfügt Baden-Württemberg über knapp 20 % der in Deutschland insgesamt installierten Leistung von rund 3.400 MW. Bei der kleinen Wasserkraft sind rund 180 MW Leistung installiert (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2010). Im Energieatlas sind derzeit rund 2.100 Wasserkraftanlagen erfasst.
Anlagenbezogen werden bisher Wasserkraftanlagen mit einer Leistung bis 1 MW in den baden-württembergischen Einzugsgebieten Neckar, Donau, Hochrhein, Bodensee/Alpenrhein, Main und Oberrhein, sowie Großkraftwerke mit einer Leistung von über 1 MW dargestellt. Bei den Großkraftwerken wird nicht zwischen EEG-geförderten und nicht-EEG-geförderten Anlagen unterschieden.
Daten und Kriterien
Welche Daten wurden verwendet?
Datengrundlagen sind Untersuchungen vom Büro am Fluss e.V. in Zusammenarbeit mit dem Hydra Institut für angewandte Hydrobiologie und der Fichtner Water & Transportation GmbH (2015/2016). Dargestellt sind die Wasserkraftanlagen inklusive der jeweils installierten Leistung [kW]. Die Kenndaten der Großkraftwerke stammen aus der Broschüre "Wasserkraft in Baden-Württemberg" des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (2010).
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2010): Potentialermittlung für den Ausbau der Wasserkraftnutzung in Deutschland als Grundlage für die Entwicklung einer geeigneten Ausbaustrategie [4,5 MB; PDF]
Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (2010): Wasserkraft in Baden-Württemberg
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im Einzugsgebiet der Donau in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,2 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im Einzugsgebiet der Donau in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,4 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Hochrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [2,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Hochrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [2,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Bodensees unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,1 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Bodensee-Einzugsgebiet unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,6 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Mains unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,4 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Mains unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [1,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Oberrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [4,3 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Oberrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,1 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Neckars unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [4,7 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Neckars unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [2,3 MB; PDF]
Potenzial Wasserkraftanlagen
Allgemeine Informationen
Welche Beeinträchtigungen hat die Wasserkraftnutzung?
Die Wasserkraftnutzung kann aus ökologischer Sicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung vieler Fließgewässer führen. Insbesondere bei der Nutzung der kleinen Wasserkraft können Konflikte mit dem Gewässerschutz oder auch der Fischerei entstehen. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) verfolgt dabei das Ziel einen guten ökologischen Zustand für alle Oberflächengewässer zu erreichen. Aufgabe des Landes ist es, beide Zielsetzungen – Ausbau der erneuerbaren Energien einerseits und gewässerökologische Verbesserungen im Sinne der WRRL andererseits – so weit wie möglich in Einklang zu bringen.
• Auszüge aus dem Anlagenkataster Wasserbau (AKWB) - Stand 2012/2013 und 2016 (nur Neckar). Insgesamt umfassten die übermittelten Daten 3.768 Regelungsbauwerke, 2.270 Wasserkraftanlagen, 11.490 Sohlenbauwerke sowie 935 Absperrbauwerke. Die Informationen über die Wasserkraftanlagen mit weniger als 1 MW Leistung im Untersuchungsgebiet wurden mit wasserwirtschaftlichen Daten der öffentlichen Verwaltung verknüpft. Datenlücken und -unschärfen wurden ergänzt bzw. präzisiert.
• In Baden-Württemberg werden Fließgewässer mit einer Länge über 500 m vermessungstechnisch im sog. "Amtlichen Digitalen Wasserwirtschaftlichen Gewässernetz" (AWGN) geführt. Dort sind über 18.800 Fließgewässer mit einer Gesamtlänge von ca. 44.800 km erfasst (LUBW 2017). Die im AWGN geführten Geometrien dienen als Grundlage zur gewässerbezogenen Erfassung unterschiedlicher Gewässereigenschaften (z. B. Gewässergüte) und für Objekte, zu denen auch Wasserkraftanlagen gehören.
• Daten zum wasserrechtlichen Status bestehender Wasserkraftanlagen sowie über laufende wasserrechtliche Verfahren zur Modernisierung oder zum Neubau von Wasserkraftanlagen. Die Erhebung wasserrechtlicher Informationen erfolgte durch Einsichtnahme in die Triebwerksakten bei den unteren Wasserbehörden mit Zuständigkeit im Untersuchungsgebiet. Die Daten wurden mit weiteren wasserrechtlichen Daten abgeglichen. Darüber hinaus wurden Informationen zu im Jahr 2013 laufenden Verfahren zur Modernisierung oder zum Neubau von Wasserkraftanlagen erhoben.
• Technische Daten aus den Triebwerksakten bestehender Wasserkraftanlagen sowie aus Plan- bzw. Genehmigungsunterlagen geplanter Anlagen. Die bei den Wasserbehörden erhobenen technischen Daten für nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütete Anlagen wurden mit den Leistungsangaben zur Einspeisung dieser Anlagen abgeglichen.
• Vermessungsdaten aus der Gewässervermessung zum Zwecke der Erstellung von Hochwassergefahrenkarten in Baden-Württemberg. Dort enthaltene Informationen über die Wasserspiegellage von Vermessungspunkten dienten u. a. dazu, fehlende oder ungenaue Informationen über Wasserspiegeldifferenzen zu korrigieren.
• Hydrologische Daten wurden mittels der DVD BW_Abfluss 2007 (LUBW 2007) ermittelt. Hierbei unterschied sich die Vorgehensweise bei Regelungsbauwerken bzw. Wasserkraftanlagen und Sohlenbauwerken. Nur für Standorte, an denen das theoretische Potenzial mindestens 8 kW beträgt, wurde eine weitere Betrachtung durchgeführt.
• Wasserkraftstatistik des (damaligen) Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (Stand 2007/2008).
Für die fischökologischen Fragestellungen wurde die geografische Lage der relevanten Querbauwerksstandorte mit dem Status des jeweiligen Gewässers zum Arten- und Fischseuchenschutz sowie zum Migrationsbedarf der Referenz-Fischzönosen abgeglichen. Hierfür wurden folgende Quellen genutzt:
• Geodatensatz der in Baden-Württemberg ausgewiesenen Gebiete der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Gebiete) mit Bearbeitungsstand Juli 2012 und September 2016 (nur Neckar).
• Geodatensatz zum Migrationsbedarf der Fischfauna in den Fließgewässern Baden-Württembergs (Dußling 2005).
• Liste der baden-württembergischen Schutzgebiete gemäß Fischseuchenverordnung (2008) mit Bearbeitungsstand Juni 2012 und Oktober 2016 (nur Neckar).
• Liste der zum Aaleinzugsgebiet des Neckarsystems gehörenden Fließgewässerstrecken (LANUV NRW 2008).
• Berücksichtigung der historischen Verbreitungsgebiete des Huchens und des Strebers (Donau), des atlantischen Lachses (Hoch- und Oberrhein, Main, Neckar), der "Bodensee-Seeforelle" (Bodensee/Alpenrhein) und der Meerforelle (Oberrhein, Neckar) nach Angaben bei Dußling (2006).
Darüber hinaus wurden die im Anlagenkataster Wasserbau (AKWB) enthaltenen Daten zum Durchgängigkeitsstatus von Regelungs- und Sohlbauwerken für Fische mit entsprechenden Angaben bei Dußling & Reiss (2006, 2007) abgeglichen.
Um einen Überblick über die im Untersuchungsgebiet (ohne Hochrhein, Main und Bundeswasserstraße Neckar) in das Netz einspeisenden Wasserkraftanlagen zu gewinnen und um die errechneten Potenziale zu plausibilisieren, wurden Daten zur Einspeisung von Wasserkraftanlagen nach dem EEG erhoben. Dazu wurden zunächst die öffentlich zugänglichen Daten über Wasserkraftanlagen ausgewertet, die nach dem EEG vergütet werden. Hierzu dienten insbesondere Daten, die die EnBW Transportnetze AG im Internet zur Verfügung stellt, sowie öffentlich zugängliche Daten weiterer Netzbetreiber. Daraus wurden Daten zur Einspeisung aus den Jahren 2007 bis 2012, sowie der für die Anlagen zuständige Netzbetreiber erhoben. Auf dieser Basis erfolgte eine Abfrage der im Untersuchungsgebiet tätigen Netzbetreiber. Erfragt wurden Informationen zur eingespeisten Strommenge, zur Einspeiseleistung sowie zur Stromvergütung.
Was sind die Grundlagen der Potenzialanalyse?
Von 2015 bis 2016 wurde das Potenzial der Wasserkraft an Standorten bis 1 MW für die Einzugsgebiete Neckar, Donau, Hochrhein, Bodensee/Alpenrhein, Main und Oberrhein systematisch untersucht. Die Wasserkraftanlagen am Main, Hoch- und Oberrhein und am schiffbaren Neckar (Bundeswasserstraße Neckar zwischen Plochingen und Mannheim) haben durchweg eine Leistung von mehr als 1 MW.
Es wurden sowohl die Ausbaupotenziale an bereits für die Wasserkraft genutzten Standorten als auch die Neubaupotenziale an noch nicht genutzten Querbauwerken ermittelt. Gewässer- und fischökologische Belange sind in die Bewertung der einzelnen Standorte eingeflossen, insbesondere die Durchgängigkeit und die Abflussverhältnisse sowie Fischwanderungen und -migrationen.
Als Grundlage für die Potenzialermittlung dienten ökologisch verträgliche Abflüsse gemäß Wasserkrafterlass Baden-Württemberg, die insbesondere die negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf den Aspekt der Fischwanderungen und -migrationen vermindern können. Weitere im Zusammenhang mit der Wasserkraft stehende Beeinträchtigungen des Gewässers als Lebensraum für Flora und Fauna können hierdurch jedoch nicht oder nur begrenzt verhindert werden.
Der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums, des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum und des Wirtschaftsministeriums können weitere Informationen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Zulassungsverfahren von Wasserkraftanlagen bis 1 MW (kleine Wasserkraft) entnommen werden.
Was ist das Untersuchungsgebiet?
In der Analyse des Ausbaupotenzials der Wasserkraft (Heimerl, Becker & Reiss 2015/2016, Potenzialabschätzung in den Jahren 2015 und 2016) wurden zunächst Anlagen der kleinen Wasserkraft in folgenden Flusseinzugsgebieten Baden-Württembergs betrachtet.
• Oberrhein
• Hochrhein
• Bodensee/Alpenrhein
• Neckar
• Donau
• Main
Hierbei wurden der schiffbare Neckarabschnitt zwischen Plochingen und Mannheim, der Main, der Hoch- und der Oberrhein nicht einbezogen. Die Wasserkraftanlagen an diesen Gewässerabschnitten besitzen durchweg eine Leistung größer als 1 MW. Es sollte aber zunächst das Potenzial der kleinen Wasserkraft aufgezeigt werden.
Das Untersuchungsgebiet (s. Abbildung unten) hat eine Fläche von gut 36.107 km² und umfasst ein Gewässernetz von knapp 41.467 km Länge. Neckar und Donau selbst waren auf einer Länge von 159 km bzw. 200 km Gegenstand der Potenzialuntersuchung.
Abbildung: Baden-Württemberg mit den wichtigsten Fließgewässern, die Untersuchungsgebiete sind rot umrandet.
Berechnungen und Modelle
Wie wurde das Potenzial berechnet?
Zur Ermittlung des Ausbaupotenzials wurden im Untersuchungsgebiet insgesamt 9.347 Standorte betrachtet. Dabei handelte es sich um 2.134 bereits zur Wasserkrafterzeugung genutzte Standorte, 2.018 Regelungsbauwerke ohne zugeordnete Wasserkraftanlagen sowie 5.286 Sohlenbauwerke mit einem theoretischen Potenzial von mindestens 8 kW (Heimerl, Becker & Reiss 2015/2016). Zur Ermittlung der Wasserkraftpotenziale wurden an fischökologischen Erfordernissen orientierte standardisierte Festlegungen zu ökologischen Abflüssen getroffen, insbesondere anhand des Wasserkrafterlasses Baden-Württemberg. Dabei wurden berücksichtigt:
- ökologische Mindestabflüsse für Ausleitungsstrecken
- Abflüsse zur Dotation von Fischaufstiegsanlagen an Regelungsbauwerken und, sofern aus fischökologischer Sicht erforderlich, im Bereich von Krafthäusern
- Abflüsse zur Dotation von Rechen-Bypass-Systemen für den Fischabstieg, sofern aus fischökologischer Sicht erforderlich
Was sind die Ergebnisse der Potenzialanalyse?
Im Zuge der Potenzialermittlung wurde an 429 Standorten der Neubau einer Wasserkraftanlage erwogen, an 808 Standorten der Ausbau einer vorhandenen Nutzung. An insgesamt 8.111 Standorten wurde aus verschiedenen Gründen (zu geringe Fallhöhe u. a.) kein Potenzial ermittelt. Im Energieatlas wird aus Gründen einer besseren Übersicht in der Darstellung zwischen Aus- und Neubau nicht unterschieden.
Insgesamt lassen sich folgende Aussagen für das Untersuchungsgebiet treffen (Datenstand Juni 2017): Die vorhandene Leistung liegt bei 270 MW, die Jahresarbeit betrug im Jahr 2012 1.036 GWh. Die theoretisch mögliche technische Leistung beträgt 325 MW, die mögliche technische Jahresarbeit 1.304 GWh (5.160 Betriebsstunden/a). Als "technisch-ökonomisch-ökologisch" mögliche Jahresarbeit verbleiben davon bei dem im Energieatlas zu Grunde gelegten Szenario 1.001 GWh.
Was muss bei der Potenzialanalyse noch beachtet werden?
Insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung ökologischer Belange muss die Eignung eines Standorts für ein Aus- oder Neubauvorhaben im Einzelfall (Genehmigungsverfahren) geprüft werden.
Für Aus- und Neubaupotenziale an Gewässerstrecken in den Einzugsgebieten Hoch- und Oberrhein, die Programmstrecken zur Wiederansiedlung des europäischen Lachses sind, muss bei der Errichtung einer Neuanlage mit erhöhten Anforderungen und Auflagen gerechnet werden, die bei einer Genehmigungsfähigkeit eine erhebliche Rolle spielen und dieser entgegenstehen können oder die das Vorhaben unwirtschaftlich werden lassen.
Welche Anwendungsszenarien gibt es?
Neben dem theoretischen Potenzial, also dem Wasserkraftpotenzial ohne Abzüge für ökologische Abflüsse, berechneten Heimerl, Becker & Reiss spezifische ökologische Abflüsse anhand der von den Rahmenbedingungen des Standortes abhängigen fischökologischen Anforderungen nach Wasserkrafterlass Baden-Württemberg.
Entsprechend der zweistufigen Herangehensweise nach dem Wasserkrafterlass wurden in der Potenzialstudie zwei unterschiedliche Ansätze ausgearbeitet, die parallel verfolgt wurden:
• Szenario 1: Annahme ökologischer Abflüsse ausschließlich vor dem Hintergrund des im Wasserkrafterlass Baden-Württemberg 2006 genannten Orientierungswertes.
• Szenario 2: Annahme spezifischer ökologischer Abflüsse in standardisierter Weise nach fisch-ökologischen Anforderungen, die von Rahmenbedingungen des Standorts abhängigen sind, orientiert am Wasserkrafterlass 2006 Baden-Württemberg.
Die dort getroffenen Festlegungen für die jeweiligen Untersuchungsgebiete Neckar (mit Ausnahme der Bundeswasserstraße Neckar), Donau, Hochrhein (mit Ausnahme des Hochrheins selbst), Bodensee/Alpenrhein, Main (mit Ausnahme des Mains selbst) sowie Oberrhein (mit Ausnahme des Oberrheins selbst) können jedoch nicht pauschal auf außerhalb des Gebiets gelegene Fließgewässer übertragen werden. Die abschließende Festlegung zur Bemessung eines Mindestabflusses muss immer einer konkreten Einzelfallprüfung vorbehalten bleiben. Dabei sind zum Teil weitere Vorgaben, etwa artenschutzrechtliche Aspekte, zu betrachten. Aus fischökologischer Sicht gilt hier:
• Stromaufwärts gerichtete Fischwanderungen und -migrationen sollten in allen Fließgewässern möglichst umfassend und bestmöglich gewährleistet sein
• Stromabwärts gerichtete Fischwanderungen und -migrationen sollten zumindest in den hinsichtlich fischökologisch besonders bedeutsamen Fließgewässerabschnitten möglichst umfassend und bestmöglich, sowie weitestgehend ohne Schädigung der Fische möglich sein
Die so berücksichtigten ökologischen Abflüsse wurden mit dem Ziel ausgearbeitet, Standardwerte für eine weitestgehend automatisierte Berechnung der betreffenden Potenziale festzusetzen, ohne eine einzelstandortbezogene Detailbetrachtung vorzunehmen. Es wurden Arbeitswerte zur Dotation von Ausleitungsstrecken, Fischauf- und -abstiegsanlagen (Rechen-Bypass-Anlagen) festgelegt, die den fischökologischen Erfordernissen zur Herstellung der Durchgängigkeit in ausreichendem Umfang Rechnung tragen. Berücksichtigt wurden Erfordernisse aus hydraulischer Sicht ebenso wie spezifische ökologische Abflüsse an Ausleitungskraftwerken sowie Flusskraftwerken.
Welche Methodik wurde bei der Ermittlung des Wasserkraftpotenzials angewendet?
Zur Ermittlung des Wasserkraftpotenzials an bestehenden Wasserkraftanlagen im Untersuchungsgebiet, sowie an Standorten mit existierenden Regelungs- und Sohlenbauwerken, wurde eine einheitliche Methodik verwendet. Nachfolgend ein Überblick des mehrstufigen Verfahrens (Details vgl. Heimerl, Becker & Reiss 2015/2016):
Bewertungsschritt 1
Bei einer Nettofallhöhe kleiner 0,3 m wurde eine Anlage von der Potenzialberechnung ausgeschlossen. Wasserkraftanlagen sind grundsätzlich bei derartig geringen Fallhöhen technisch und ökonomisch nicht realisierbar. Anschließend wurde das zusätzliche technische Potenzial der Standorte bzw. Anlagen mit einer Nettofallhöhe größer 0,3 m ermittelt. Lag dieses unter 8 kW, wurde der Standort von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen.
Bewertungsschritt 2
In diesem Schritt wurden anhand von Betriebsstatus und Kraftwerkstyp die zum Ausbau notwendigen Kosten (inkl. Fischaufstiegsanlagen sowie Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen) sowie die Mehrerlöse aus zusätzlicher Jahresarbeit abgeschätzt. Alle Standorte mit einer Amortisationszeit von mehr als 35 Jahren wurden nicht weiter betrachtet.
Bewertungsschritt 3
Das technisch-ökonomisch-ökologische Potenzial ermittelten Heimerl, Becker & Reiss für 2 Szenarien (s. oben), wobei die Darstellungen im Energieatlas Baden-Württemberg ausschließlich auf Szenario 2 basieren. Zur abschließenden Bewertung der untersuchten Standorte wurde eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vorgenommen, anhand abgeschätzter Stromgestehungskosten und einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 35 Jahren vorgenommen.
Welche Unschärfen existieren bei den hydrologischen Daten?
Bei den errechneten Abflusswerten ist für die mittlere Abflussmenge (MQ) mit einem Fehlerbereich von ± 10 % und für den mittleren Niedrigwasserabfluss (MNQ) mit einem Fehlerbereich von ± 15 % zu rechnen. In kleinen Einzugsgebieten, insbesondere kleiner 5 km², sind die Unsicherheiten deutlich größer. Eine weitere mögliche Fehlerquelle stellt die manuell durchgeführte Abgrenzung der Teileinzugsgebiete zur Ermittlung der standortgenauen Abflusswerte für Regelungsbauwerke dar. Diese Fehler spielen aber nur bei sehr kleinen Einzugsgebieten und damit geringen Potenzialen eine Rolle und sind für das Wasserkraftpotenzial somit zu vernachlässigen.
Was sind mögliche Fehlerquellen bei den Daten zur Stromeinspeisung?
Die Daten zu den nach EEG vergüteten Wasserkraftanlagen sind mit Adressangaben der Anlage verknüpft. Oftmals fehlt hierbei eine Hausnummernangabe. Daher ist die Zuordnung der EEG-Daten zu Wasserkraftanlagen immer dort mit Unsicherheiten verbunden, wo auf engem Raum viele Wasserkraftanlagen installiert sind. Trotz der Verwendung ergänzender Informationen, wie der Angaben zur Anlagenleistung konnte eine Anlage nicht immer zweifelsfrei zugeordnet werden. Darüber hinaus enthalten die EEG-Daten auch Informationen über Wasserkraftanlagen, die im Kataster wasserbaulicher Anlagen unterschiedlichen Gründen nicht geführt werden.
Umweltministerium, Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum, Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (2006): Gemeinsame Verwaltungsvorschrift zur gesamtökologischen Beurteilung der Wasserkraftnutzung (Wasserkrafterlass); Kriterien für die Zulassung von Wasserkraftanlagen bis zu 1.000 kW [4,9 MB; PDF]
Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg; Hrsg. (2023): Erneuerbare Energien in Baden-Württemberg 2022 - Erste Abschätzung, April 2023 [1,5 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im Einzugsgebiet der Donau in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,2 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im Einzugsgebiet der Donau in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,4 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Hochrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [2,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Hochrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [2,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Bodensees unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,1 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Bodensee-Einzugsgebiet unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,6 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Mains unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [3,4 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2015): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Mains unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [1,9 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Oberrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [4,3 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Oberrheins unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [3,1 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Neckars unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele [4,7 MB; PDF]
Heimerl, S., Becker, A., Reiss, J. (2016): Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Neckars unter Berücksichtigung ökologischer Bewirtschaftungsziele - Anhang [2,3 MB; PDF]